Geschichtliche Beiträge / Kerstin Buss / Entwicklung der  Fehnkultur - Vortrag


Meine sehr verehrten Gäste, meine Herren,

 

gern bin ich der Einladung heute gefolgt, um hier darüber zu sprechen, was die ostfriesische Fehnkultur Besonderes geschaffen hat!

 

Eigentlich wissen wir alle, die wir heute hier versammelt sind, was Fehnkultur bedeutet - wir brauchen ja nur mit offenen Augen über Westgroßefehn oder ein anderes Fehn zu spazieren!

 

Wir sehen den Kanal, die Schleusen, die Brücken und die am Kanal entlang angeordnete Siedlungsstruktur. Das alles hat ja die Fehnkultur geschaffen!

 

Was wir nicht mehr sehen, ist – Hochmoor.

Im ehemaligen Hochmoor lagerte ein wichtiger Rohstoff- Torf – der von fleißigen Händen abgebaut, getrocknet und auf den Kanälen und den sich anschließenden Flüssen und Tiefs zu den Märkten gebracht und dort verkauft wurde.

 

Das ehemalige Hochmoor ist weg, es ist abgetorft, es ist verbraucht – genauer gesagt, es ist verbrannt!

Und wer verbrannte Torf in diesen großen Mengen? Es waren die aufstrebenden Städte am Ende des Mittelalters und in der dann folgenden Neuzeit, die Brennstoff für ihre Bevölkerung brauchten, für all die Bäckereien, Bierbrauereien und Ziegeleien. In der Stadt funktionierte Selbstversorgung nicht mehr. Brennstoff musste nun her in großen Mengen.

Der wagende Kaufmann, der sich in der Stadt entwickelte, wagte sich auch in die Ödnis hinaus, in das Hochmoor, um die großen Mengen an Brennstoff herbeizuschaffen, die notwendig waren für die Städter.

 

In Ostfriesland begann die Fehnkultur im Jahr 1633 mit Gründung des „Großen Veens“.

Und weil hier in Ostfriesland nicht so viel Kapital wie in den benachbarten Niederlanden mit seinen neuen, geldbringenden Kolonien vorhanden war, kamen die ostfriesischen Unternehmer darauf, die niederländische Fehnkultur auf ihre ostfriesischen Bedürfnisse hin abzuwandeln.

 

Dies hat sich auch in den Ortsbezeichnungen manifestiert - auf der anderen Seite der Grenze heißen die Fehnorte Sappemeer oder Hoogezand, aber hier bei uns heißen sie alle - sozusagen mit Nachnamen: -fehn!                                    

Was änderten nun die ostfriesischen Unternehmer? Sie heuerten sich Siedler an. Diese sollten den Torf abgraben und anschließend den Torf auch noch selbständig vermarkten.

Und ein Drittes sollten die Siedler noch erledigen: sie sollten eine Auflage des Landesherrn erfüllen (worauf die Unternehmer keine Lust hatten- aber sie mussten diese Bedingung erfüllen, sonst gab es Ärger mit ihm!) und zwar verlangte der Landesherr, dass nach dem Torfabbau der Untergrund „kultiviert“ werde, nämlich dass „Korn eingesät“ wird.

Ja, so steht es in all den Pachtverträgen, die die Hochmoor-Unternehmer nach und nach mit den ostfriesischen Landesherren abschlossen.

 

Wie praktisch! Wir würden das alles heute als eine win- win- win- Situation beschreiben:

·        Der Landesherr verpachtete an Unternehmer bislang wertlose Hochmoorareale und gewann zusätzliche Steuereinnahmen.

·        Die Unternehmer versprachen sich Gewinne aus der Unterverpachtung der in kleine Parzellen zerlegten Pachtgebiete an arbeitswillige, tüchtige Siedler (so ein bisschen konnten sie sich diese ja auch aussuchen!). Zwar mussten die Unternehmer in den Kanal, in Schleusen und Brücken investieren, aber sie bekamen dafür Einnahmen aus Torfsteuer, Schleusen- und Brückengeldern.

·        Und die Siedler? Auch sie hatten etwas davon: Sie bekamen ein eigenes Stück Land! In Ostfriesland etwas, das ganz oben auf der Wunschliste steht - ein eigenes Stück Land!

 

Zwar mussten die Siedler erst einmal den auf ihrer Parzelle befindlichen Torf abgraben, trocknen und im Herbst vermarkten. Aber das durften sie selbst tun - es war ganz hart und anstrengend, hatte aber den Vorteil, dass man nicht nur Torfgräber, also nur ein Arbeiter war, sondern gleichzeitig auch Händler und auch Schiffer, und das bringt, wie wir alle wissen, meist mehr Geld ein, als es einem Arbeiter gelingt. Nebenbei: Nur bei der Großefehnkompanie erhielten die Kolonisten eine bereits abgetorfte Parzelle zugewiesen – ein Riesenvorteil! – bis zum Jahr 1835.

 

War der Torf von der eigenen Parzelle abgegraben, konnte sich der Siedler ein Haus bauen auf dem sandigen Untergrund, der früheren Geest.

 

Aber dieser Untergrund war kein guter Boden, um darauf für die Seinen - einschließlich seiner Tiere - Nahrung anbauen zu können. Also schritt der Siedler zur Tat und machte diesen unfruchtbaren Boden fruchtbar: auf dem Rückweg von den Märkten brachte sich der Siedler entweder kostenlosen Schlick mit, indem er sich bei Ebbe mit seinem Schiff auf den Flussboden fallen ließ, den Schlick abgrub und ihn in sein Schiff warf-, oder er kaufte oder tauschte beim Bauern Mist gegen Torf - oder: ganz spektakulär: er kaufte in Emden den Straßendreck auf oder: noch spektakulärer - er kaufte den Emdern ihre Fäkalien ab: Fehntjers weten ut Schiet Gold to maken!

Mit all diesen Maßnahmen bekam der Fehntjer seinen Boden fruchtbar, so fruchtbar, dass ein Pastor Cadovius aus Ayenwolde um 1690 über die ersten Siedler in Großefehn schrieb – und das nur ca. 20 Jahre später, nachdem das Geschäftsmodell der Fehncompagnie umgestellt war vom Tagelöhnerabbau auf Anwerbung von Kolonisten:

 - mit nix in der Tasche seien sie gekommen und hätten nun schon dausende von Dalern mit dem Torf erbeutet und auf ihren Ländereien wachse schönster Roggen und beste Gerste!

 

Naja, ganz so einfach war das alles natürlich nicht, wie es sich jetzt anhört! Der Siedler musste auch noch den Boden „durchwühlen“, denn es hatte sich im tieferen Untergrund unter dem Sand im Laufe der 6000 Jahre Hochmoorbildung ein undurchdringlicher Bodensatz gebildet - Ortstein, auch Ur genannt - durch all die chemischen Vorgänge, die sich bei der Torfbildung abspielten.

 

Und der Siedler musste Abgaben an die Fehngesellschaft zahlen.

 

Die Blütezeit dieser eben beschriebenen ostfriesischen Fehnkultur setzte Mitte des 18. Jahrhunderts ein, als sich die Fehntjer der ersten Gründungsfehne immer mehr und mehr der Schifffahrt zuwandten (sie sollten ja den Torf selbst zu den Märkten bringen und das ging ja in damaliger Zeit nur mit dem Schiff!) und die Fehntjer schnell begriffen, dass mit Handel und Schifffahrt mehr Geld zu verdienen war als mit der Torfgräberei. Wohlhabenheit zog allmählich ein auf die Fehne.

 

An Großefehn kann deutlich werden, was gemeint ist, dass sich aus „Torfgräbersiedlungen Schifffahrtsdörfer mitten im Binnenland“ entwickelten (nach Professor Nitz in Grenzenlos. Die Identität der Landschaft in der Ems-Dollart-Region) –bezeichnend dafür war auch die Navigationsschule in Timmel, die von 1846 bis 1918 bestand.

 

Und so ist es wichtig, immer wieder deutlich zu machen, dass Fehntjer keine Moorkolonisten waren und die Fehne keine Moorkolonien, sondern dass diese Besonderheit nur mit diesen beiden Begriffen richtig zu fassen ist:  Fehntjer und Fehnsiedlungen.

 

Mehr dazu kann man in Erfahrung bringen im Fehnmuseum Eiland, am besten mit einer gebuchten Führung unter Telefon 04945 – 4399970 oder per Email an: info@fehnmuseumeiland.de

 

Kerstin Buss